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"Shakespeare and You"

Ein Blogbeitrag von Alan VanderMolen, President, International und WE+

„Shakespeare and You” - Gedanken aus Berlin.

Vergangene Woche war ich zu Gast beim Holmes Report In2 Innovation Summit EMEA 2016 in Berlin und hatte die Gelegenheit, eine Rede über die Gemeinsamkeiten von Shakespeare und Storytelling zu halten, die ich in diesem Blogpost mit ihnen teilen möchte. Viel Vergnügen beim Lesen.

Der Todestag von Shakespeare jährt sich nun zum 400. Mal. Dies veranlasst vor allem Großbritannien dazu, ihm zu Ehren große Events zu veranstalten. Für mich ist das ein wenig merkwürdig, denn ich bin es gewohnt, dass weltweit nur die Geburtstage von prominenten Töchtern und Söhnen eines Landes und nicht deren Tod gefeiert wird. Doch ich denke, dass diese Tatsache einen erstklassigen Einblick in die Art und Weise gibt, wie Briten denken. In den richtigen Kontext gesetzt, bietet das eine hervorragende Basis für ein tiefgehendes Storytelling, das sich mit nationalen Eigenheiten auseinandersetzt.

So gesehen, bieten mir der Shakespeare-Jahrestag und der Holmes Report Innovation Summit in Berlin eine sehr gute Gelegenheit, um darüber nachzudenken, wie „der Barde“ heute als Marketing-Kommunikator oder – besser gesagt – als „Branded Content Storymaker“ auftreten würde.

Ich denke, dass Shakespeare in unsere heutige Welt, die von disruptiven und disintermediären Technologien geprägt ist, mit einem Gefühl der Freiheit eintauchen würde. Eine Freiheit, die zwar frei von den Begrenzungen eines Blattes Papier ist, die aber andererseits auch nicht die Sicherheit eines abgeschlossenen Bühnenraums bietet. Wahrscheinlich würde ihn auch Angst befallen, da er keine Kontrolle mehr über die Dramaturgie ausüben könnte. Dennoch glaube ich, dass ihn die Idee der technologiegestützten Bewegung und deren Auswirkung auf Marken und Stakeholder, die für ihren Erfolg notwendig sind, sehr inspirieren dürfte.

Lassen Sie uns also einen Blick durch die Augen von Shakespeare werfen, wie wohl moderne Marken für ihn aussehen mögen.

Marken und ihre wichtigsten Stakeholder – Konsumenten, Kunden, Partner, Mitarbeiter, Investoren, Marktbegleiter – sind für ihn die Hauptpersonen, deren Handlungen auf das Engste miteinander verknüpft sind. Er würde sehen, wie disruptive Technologien Marken befähigen, ganze Industriezweige zu transformieren, indem alles, was keinen zusätzlichen Mehrwert zwischen dem Endkunden, dem Produkt oder der Dienstleistung bietet, konsequent eliminiert wird. Als prominenteste Beispiele, wie dieses Konzept erfolgreich in der Realität funktioniert, sähe Shakespeare Uber, Airbnb und eBay. Überrascht dürfte er auch davon sein, wie sehr die Technologie die Medienrezeption verändert hat. Apple Music und Netflix stehen hier für eine neue Generation des Abonnement-basierten Entertainments. Sie bieten Filme, Musik und Fernsehunterhaltung an – und das zu jeder Zeit, überall und ohne lästige Unterbrechungen.

Ebenso haben sich dank der neu gegründeten Marken und der neu gewonnenen Freiheit der Konsumenten die Verkaufs- und Kaufgewohnheiten in unzähligen anderen Kategorien deutlich verändert. Zwei Beispiele: Metlife transformiert zurzeit sein gesamtes bisheriges Vertriebsmodell in den USA. Tesla hat den Abverkauf von Automobilen auf den Kopf gestellt: Die Fahrzeuge können jetzt vom Kunden direkt beim Hersteller gekauft werden, ohne dass ein Händler dazwischen geschaltet ist.

Shakespeare würde sehen, dass seine Hauptdarsteller – die Marken – von niedrigeren Umsatzkosten und von Kundenbeziehungen profitieren, die sich durch Vertrauen und Messbarkeit, aber auch den ständigen Austausch an Informationen auszeichnen. Die Kunden sind mehr denn je in der Lage, Beziehungen mit Marken aufzubauen, die auf dem Erwerb von Produkten und Dienstleistungen beruhen.

Auf seiner Medienbühne würde „der Barde“ dann auch das mobile Web sehen, das eine neue Welt geprägt hat, die voll von gebrandeten Neuigkeiten und Informationen ist. Eine Welt, in der die Endkunden die Macht haben, Marken in der Bedeutungslosigkeit verschwinden zu lassen, die ihnen nicht einen einzigen Mehrwert hinsichtlich Neuigkeiten, Informationen, Unterhaltung oder einen anderen gesellschaftlichen Wert bringen.

Er würde das Aufeinandertreffen von Google, Smartphones, Facebook, Twitter, YouTube, Instagram, mainstreammedia.com und yourbrand.com sowie ein buntes Sammelsurium an paid, earned, shared und experimentellen Medien sehen, an denen er sein Talent erproben könnte. Er würde mit einem Medienökosystem konfrontiert werden, das sich zwischen zwei Polen ausbalancieren muss: auf der einen Seite steht die Kreativität der Medienschaffenden. Auf der Anderen die Marktforschung, die den Erfolg von Kommunikationsmaßnahmen mit objektiven Methoden misst.

Shakespeare sähe eine Welt in der die Grenzen zwischen den eigenen Medien der Marken, traditionellen und sozialen Medien sowie den Medien der Digital Natives und den Kaufplattformen zunehmend verwischen. Genauso wenig trennscharf wären für ihn die Grenzen zwischen redaktionellen, bezahlten oder durch Marken selbst erstellen Inhalten sowie den Funktionszuordnungen zwischen CIO, CMO und CCO.

Doch was würde „der Barde” als moderner Marketing Kommunikator nun tun, um den Herausforderungen zu begegnen, die sich durch die sich ständig verändernde Welt ergeben?

Ich denke, er würde die durch die Technologie erst möglich gewordene Transformation hinsichtlich Geschäfts-, Medien- und Kommunikationsmodellen begrüßen. Denn das eröffnet ihm völlig neue Wege der Kommunikation. Anstatt sich nur auf das klassische Storytelling zu konzentrieren, kann er nun selbst transformative Stories in Echtzeit und mit sehr vielen Akteuren entwickeln. Die von ihm entwickelten mehrschichtigen und universellen Themen befähigen Marken und deren Stakeholder dann dazu, in einem Strom von sich ständig verändernden Stories erfolgreich mitzuschwimmen; und zwar eingebettet in nicht lineare und sich ständig kreuzende Handlungsabläufe.

Er würde für jeden Charakter – Marken, Kunden, Mitarbeiter, Marktbegleiter – einen passenden Kontext erstellen, damit dieser sich ganz bewusst und stringent weiterentwickeln kann, so dass der Sprung von bloßen plattformspezifischen Unternehmensstories hin zu plattformunabhängigen Unternehmensepen ganz einfach gelingt. Die technologischen Fähigkeiten des modernen Medienökosystems würde er dazu nutzen, um für den Endkunden nützliche, personalisierte und lokale Stories entweder selbst zu erstellen oder zu koproduzieren, die nahtlos in Kaufplattformen eingebunden werden können.

Bevor wir nun „des Barden“ Vision eines echtzeitbasierten und transformativen Storymakings verlassen, wollen wir zunächst noch einen Blick auf zwei Marken werfen, die bereits schon einen Großteil dieser Möglichkeiten nutzen – eines davon schon über einen sehr langen Zeitraum.

Bereits im Jahr 2006 kam Nike+ auf dem Markt, das als Anwendung für den iPod von Apple gedacht war und ursprünglich nur die Strecke und die Geschwindigkeit eines Laufs oder Spaziergangs messen sollte. Die Daten kamen hierfür von einem Transmitter, der in den Schuh eingebaut war und der die Informationen an das Nike+ Sportsband oder einen iPod sendete. Die dort gespeicherten Informationen wurden dann mithilfe eines PCs ausgelesen und konnten auf die Nike+ Plattform auf der Webseite des Sportartikelherstellers hochgeladen werden. Der Fitnessfortschritt konnte sogar über iTunes mitverfolgt werden. Wie Sie sich sicherlich vorstellen können, wurde die Technologie mittels GPS und dem mobilen Web noch weiter verfeinert. Das Schöne daran ist aber, dass Nike damit eine eigene Nike+ Community ins Leben gerufen und die Inhalte vollständig in deren Hand gelegt hat. Die Mitglieder der Community konnten sich dann mit anderen vergleichen, eigene Laufstrecken teilen oder fremde Laufstrecken entdecken. Daneben erhielten sie stets die neuesten Informationen von Nike hinsichtlich der aktuellen Fortschritte bei Wissenschaft und der Produktentwicklung. Dies ist ein gutes Beispiel für ein transformatives Epos aus dem Jahr 2006, das sich bis heute zusammen mit seinen Akteuren in einer vielschichtigen und echtzeitbasierten Art und Weise weiter entwickelt.

Der Versicherungskonzern AXA startete im Jahr 2011 die Community AXA People Protectors auf Facebook. Damit können sich lokale Communities gezielt für globale Probleme, wie Adipositas bei Kindern oder den Zugang zu sauberem Wasser, engagieren. AXA unterstützt diese mit einer eigenen Webseite namens borntoprotect.com und stellt die Geschichten kategorisiert nach „my health”, „my family and home”, „my business”, „my trips and travel” sowie „my planet” dort noch einmal extra vor. Dank der sozialen und owned Medien erreicht die AXA auch earned Media, womit eine kontinuierliche Berichterstattung über deren Kerngeschäft erreicht wird: nämlich Schutz.

Wenden wir uns wieder der Gegenwart zu. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass „der Barde“ einst geschrieben hat: „Alle Vergangenheit ist nur ein Prolog“, wie also würde er seine neue Rolle definieren? Wir müssen uns wieder unserer PR-Wurzeln erinnern. Vor allem deswegen, weil die Trennlinien zwischen den verschiedenen Disziplinen der Marketingkommunikation verschwimmen und weil sich Technokraten, Marketers und Kommunikationsspezialisten zu einer neuen Superspezies vermischt haben.

Prinzipiell gilt immer, dass der Erfolg eines transformativen Storymakings in einem vielfältigen und sich ständig verändernden Medienökosystem auf Wahrheit und Glaubwürdigkeit beruht. Das bedeutet einerseits, dass alle Handlungen sich an den redaktionellen Grundsätzen von earned Media zu orientieren haben. Andererseits muss die Reputation von Drittparteien stets aufrechterhalten werden.

Indes bleibt es schwer vorauszusagen, ob all das in einer Tragödie oder Komödie endet; fest steht, dass sich die Kommunikatoren von heute bei der Konzeption ihrer Drehbücher ausschließlich an der Realität orientieren.

Juni 06, 2016